Wie es anfing
Vor drei Monaten war das noch ein unbekannter Begriff und hält heute die ganze Welt in Atem. Oder hält die ganze Welt den Atem an?
Noch ist so vieles unklar und unbekannt über diesen Virus, aber es ist deutlich, dass er sich in kürzester Zeit über die ganze Erde ausbreiten konnte. Und irgendwie trifft dieser Virus den Nerv unserer Zeit.
Erinnerungen an die Spanische Grippe oder an Pest und Cholera kommen hoch. Aber die habe ich alle nicht miterlebt. Heute trifft mich die Corona-Welle in ihrer ganzen Unklarheit und ihren vielen offenen Fragen – ganz praktische Fragen, aber auch geistliche über die Bedeutung und die möglichen Folgen dieser Pandemie.
Auch die Wahrnehmung, wie wir Menschen darauf reagieren und damit umgehen, wirft Fragen auf. Und vieles ändert sich von Woche zu Woche.
Erste Reaktionen
„Das ist doch alles übertrieben und aufgebauscht!“
Als ich so dachte, verglich ich es mit den jährlichen Grippe-Perioden und der Anzahl an Menschen, die jährlich daran sterben. Dem gegenüber sind die Zahlen bei Corona noch niedrig. – Aber die Dynamik und die Ungreifbarkeit von Corona und die Auswirkungen auf den klinischen Betrieb wie in Oberitalien lehrten mich, diesen Gedanken zu verlassen.
„Zu viele Menschen geraten in Panik“
Das bleibt bestehen und erfährt Bestätigung aus fachlichen Kreisen. Die meisten Menschen tun sich sehr schwer damit, Fragen der Medizin und Gesundheit recht einzuordnen. Ganz besonders, wenn keinerlei Erfahrungswerte vorliegen wie bei dieser ganz neuen Krankheit.
Und dann kommen allerlei psychische Reaktionen ins Spiel: Verharmlosung, Spott und Ironie, Übertreibung, panische Angstreaktionen, unangemessene Übervorsicht. (Aber wer kann das recht beurteilen, wo noch so viel unbekannt ist?)
Die Reaktionen der Verantwortlichen in Politik und Kultur zeigen auch eine mehr oder weniger große Bandbreite in deren Einschätzung der Lage. Von Tag zu Tag müssen die Entscheidungsträger prüfen, welche Maßnahmen notwendig und angemessen erscheinen – Was oft erst im Rückblick nach Wochen seine Bestätigung findet. Beinahe täglich kommt hier oder da eine neue Erkenntnis oder Wahrnehmung zu Wort – oder ist es stündlich, und ich informiere mich nur nicht oft genug?
Meine persönliche Reaktion hängt auch sehr davon ab, wie weit mein Horizont ist. Sehe ich nur mein Ergehen und meine direkte Umgebung, oder kann ich die globale Dimension erkennen? Oder ist die einfach so erschütternd, dass sie mein Herz nicht erreichen kann?
Stufen und Bereiche meiner Wahrnehmung
So haben wir eine Situation, in der unser Volk zusammen mit vielen anderen einerseits den Atem anhält, andererseits aber fieberhaft daran arbeitet, das Notwendige zu beschaffen, zwischenmenschliche Begegnung und Berührung drastisch zu reduzieren und dennoch das Lebensnotwendige zu beschaffen.
Ist unser Leben reduziert auf Ernährung und medizinische Notfall-Versorgung?
Für manche bedeutet, plötzlich arbeitslos zu sein, keine gewohnte Aufgabe wahrnehmen zu können, eine lange erwünschte Entschleunigung zu erleben und zur Ruhe zu kommen – solange die Vorräte und das Ersparte reichen!
Schüler ohne Schule, Kinder ohne Betreuung, Eltern, die zuhause bleiben müssen … völlig veränderte Beziehungs-Situationen. Versuche, Kontakte auf technischen Wege zu pflegen. Verordnetes Familienleben? Verordnetes Klosterleben?
Allein eingesperrt zu sein, „Einzelhaft zu Hause“ kann genauso an die Grenzen bringen, wie unausweichliche Gemeinschaft, bei der die Nerven bald blank liegen.
Chancen und Herausforderungen
Ja, es hat manchen Vorteil und bietet viele Chancen zu einem Neubeginn, zum Umlernen, und zwar so plötzlich und gründlich, wie wir es uns nicht denken konnten. Aber es bringt zugleich persönliche Herausforderungen von ungeahntem Ausmaß. – Jeden Tag müsste ich diese Sätze neu formulieren, weil die Gefühle sich so schnell ändern.
Auch die Umwelt atmet gewissermaßen auf. Bilder von China aus der Höhe zeigen drastisch reduzierte Verschmutzungswerte gegenüber der Zeit „vor Corona“. Auch da hält die Welt im Augenblick die Luft an. Wie lange schafft sie das, ehe ihr „die Luft ausgeht“?
Ich verstehe kaum etwas von wirtschaftlichen Zusammenhängen, aber ich frage, wie die Menschen überleben sollen, die jetzt nicht zur Arbeit gehen können, wie Geschäfte bestehen sollen, die wochenlang keinen Umsatz machen können? – „Wer soll das bezahlen?“
Was bedeutet es, wenn Spargel-Bauern keine Erntehelfer aus dem Osten anstellen können und inländische Arbeitskräfte solche Arbeit nicht mehr leisten können? Wenn Arbeiter fehlen, die das Gemüse pflanzen sollten, das wir in wenigen Wochen benötigen werden? (Inzwischen kam die Meldung, dass sich Tausende als Erntehelfer meldeten) Wenn Gärtnereien ihre Erzeugnisse nicht mehr auf den Markt bringen dürfen, weil unter den Mitarbeitern Corona festgestellt wurde?
Sicher ist es sehr gut, wenn wir durch diese überraschende Entwicklung darauf gestoßen werden, dass wir auch völlig anders leben und wirtschaften können. Aber ich ahne, dass bei der Umstellung eine ganze Menge Menschen und Betriebe auf der Strecke bleiben werden. Vielleicht besonders solche, die vom Wohlstand profitiert haben, und deren Angebote als entbehrlich oder sogar schädlich erkannt werden. Manche schaffen es, ihr Angebot an den aktuellen Bedarf anzupassen, aber nicht alle.
Eine völlig unvorhergesehene Situation
Unsere Bedürfnisse haben sich abrupt verändert. Dinge werden benötigt, für die nun der Nachschub fehlt, weil sie für uns bisher kaum eine Bedeutung hatten, während andere Produkte kaum nachgefragt werden. Atemschutz-Masken, Desinfektionsmittel und medizinischer Bedarf in weitaus höherem Maße als zuvor. (Symptomatisch muss ich bei diesem Text viele Worte in der Worterkennung nachtragen, die ich noch nie gebraucht hatte.)
Ganz offensichtlich stehen wir zumindest möglicherweise in einer Zeit einschneidender Veränderungen – oder wollen wir danach weitermachen wie zuvor? Rückkehr zu einer als ungesund, ja unheilvoll erkannten Kultur? – Wann mag es überhaupt ein „Danach“ geben? Könnte die Menschheit wirklich zum „Davor“ zurückkehren?
Aber welche gemeinsamen Maßstäbe sollen, wollen, können wir anlegen? Haben wir noch eine gemeinsame Basis? Und müsste die nicht global sein? – Corona ist ein globales Problem. Kann die Antwort von uns Menschen darauf örtlich, regional, national begrenzt sein? – Ob wir Globalisierung mögen oder nicht, in Augenblick haben wir die globale Herausforderung in hoher Geschwindigkeit.
Ich trete zurück und frage nach GOTT
Und nun trete ich einen ganz großen Schritte zurück: Was bedeutet das alles für Gott?
Ich weiß, dass zumindest an der Oberfläche für die meisten Menschen diese Frage nicht stellbar sein mag. Aber in der Tiefe schlummert doch die Frage: „Wie kann Gott das zulassen?“
Auch die Frage steht im Raum: „Könnte dies eine Strafe, ein Gericht Gottes, oder doch zumindest ein Reden Gottes sein?“
Menschen, die Gott noch nicht ganz vergessen oder abgeschafft haben, werden solche Fragen im eigenen Herzen kommen sehen und sich ihnen stellen müssen.
Meine persönliche Überzeugung ist, dass sich genau an diesen Fragen alles entscheiden kann – ich vermute sogar – wird!
Wird es der Menschheit gelingen, die Frage nach Gott in der Corona-Krise zu stellen und sich ihr zu stellen, oder werden wir (weiter) versuchen, die Krise allein zu meistern?
Wir haben die Chance zu einer globalen Wende, werden wir sie ergreifen?
Millionen oder gar Milliarden Menschen glauben theoretisch oder prinzipiell an einen Schöpfer-Gott. Wäre es da nicht an der Zeit, gerade in so einer Krise, intensiver nach IHM zu fragen? Wenn ER die ganze Welt erschaffen konnte, kann er gewiss auch zu uns reden. Vielleicht brauchen ja auch unsere Vorstellungen vom IHM eine gewisse Korrektur. Vielleicht haben wir noch nicht in Erwägung gezogen, welche Beziehung ER sich zu uns Menschen wünschen könnte.
Eine persönliche Antwort?
Als Christ bin ich mit einer Geschichte vertraut, die über mehrere Jahrtausende von Gottes Beziehung zum Volk Israel und durch sie zu den Gläubigen aus den Völkern erzählt. Diese Geschichte gibt mir den Halt, auch einer Herausforderung wie der Corona-Krise zu begegnen. In dieser Geschichte hat der Gott Abrahams, Isaaks und Jakob/Israels immer neu die Hände nach uns Menschen ausgestreckt, bis dahin, dass ER vor etwa 2000 Jahren in Jesus von Nazareth selbst Mensch wurde, um uns in letzter Tiefe mit sich selbst zu verbinden. Vielleicht könnte an diesem Ort auch die Antwort auf die aktuelle Krise zu finden sein?
Angesichts der unüberschaubaren Vielfalt persönlicher Situationen, wage ich nicht eine einzelne Antwort in den Raum zu stellen, zumal ich überzeugt bin, dass Gott die ganz persönliche und unmittelbare Beziehung zu jedem Menschen sucht und durchaus in der Lage ist, zu jedem so zu sprechen, wie er es verstehen kann. Und ich wünsche mir, dass jeder auch mit seinen Nächsten in Freiheit darüber reden kann, so dass wir immer mehr gemeinsam unter Gottes Augen wandeln können.
Darum möchte ich schließen mit der Einladung an alle, die das können, dass wir genau an unserem ganz persönlichen Platz und im Bewusstsein einer globalen Herausforderung, die eigene Gottesbeziehung immer klarer und lebendiger zu leben und zu bezeugen uchen, jeweils so, wie es dem augenblicklichen Gegenüber angemessen erscheint. Schenke uns Gott, dass wir in der Krise über uns selbst hinauswachsen im Anschluss an IHN und in echter Liebe zu unserem Nächsten.
Geschrieben vom 26. bis 29. März
von einem, der sich wie ein Funke in der Nacht vorkommt
und Tag für Tag einen Schritt um den anderen zu gehen versucht.
(abgeschlossen am 29.3.2020; 5:53)
Letzte Änderung: 9. Mai 2020