Glauben an Gott oder an Geglaubtes

Glauben gehört zu den Fundamenten des Lebens. Ohne Glauben würden wir verrückt von Sorgen und Ängsten. Wir müssen glauben, dass die Dinge sich so verhalten, wie wir es erwarten, dass der Boden unter unseren Füßen uns trägt und nicht plötzlich nachgibt. Ohne diesen Glauben im Alltag wäre jeder Schritt im Leben eine Qual und voller Gefahr. Wir glauben an die Beständigkeit der Dinge und Vorgänge, die uns umgeben.

Doch gerade das Bild vom Boden unter den Füßen kann uns auch in die Irre führen. Denn so absolut stabil ist der Erdboden gar nicht. Ein Erdbeben zieht uns buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Und die Bewegungen der Erdkruste, die ja die Ursache für Erdbeben sind, haben eine Dimension, die wir uns nicht leicht vorstellen können.

Manchmal ist unser Glaube an Gott von ähnlicher Art. Über lange Zeit passt, was wir glauben, völlig zu dem, was wir erleben. Und doch mag die Wirklichkeit Gottes weit darüber hinausgehen. Dann ist es ganz entscheidend, ob wir in Wahrheit an den lebendigen Gott glauben, oder an etwas, das wir immer geglaubt haben. In der Überschrift nannte ich es den Glauben an Geglaubtes.

Dieser Glaube an Geglaubtes hindert uns daran, Neues zu entdecken und zu lernen. Festhalten am Bisherigen blockiert ein notwendiges Umlernen. Glaube an Geglaubtes ist wie eine Sackgasse ohne Wendemöglichkeit. Zumindest kann es sehr schwer sein, dort umzukehren, wenn andere „Verkehrsteilnehmer“ im Weg sind, die noch nicht ans Umkehren denken.

Glaube an Gott – wenn er lebendig ist – hat deshalb immer auch eine gewisse Unsicherheit in sich. Er fordert die Wachsamkeit, das Neue nicht aus zu fester Überzeugung falsch zu deuten. Doch diese Unsicherheit ist absolut nicht beunruhigend, denn sie betrifft nur den kleinen Augenblick. Es ist wie ein nicht fest gespanntes Seil, von dem ich jedoch weiß, dass es da ist und Sicherheit gibt. Es lässt mich so frei, dass ich den eigenen nächsten Schritt wählen kann, aber es würde mich sofort festhalten, wenn ich einen Fehltritt mache.

Somit ist es der Glaube an Gott, der mir ein Umlernen möglich macht, von dem mich ein Glaube an Geglaubtes abhalten würde.

Letzte Änderung: 26. Oktober 2022