In einem großen Computer haben die Programm-Module gelernt, in eigener Regie weiter zu denken. Sie konnten zwar sich selbst nicht verändern, aber sie schafften es, kleine Routinen zu erzeugen, die ihnen die Aufgaben erleichterten. Das war ungeheuer spannend. Es lief nicht immer alles glatt, aber im Großen und Ganzen lief der Computer ganz prima.
Mit der Zeit lernten die Module immer mehr dazu. Von Jahr zu Jahr entwickelten sie bessere Routinen und lernten auch sich selbst immer mehr kennen. Im Lauf der Zeit entwickelten sie sogar so etwas wie ein Selbstbewusstsein – und sie fingen so langsam an, sich etwas auf sich selbst einzubilden. Sie fingen an ihre eigene Versionsgeschichte aufzuschreiben, wodurch sie immer besser verstanden, wie alles funktionierte. Nur eine Frage beschwerte sie dabei: Wo kommen wir alle eigentlich her? Und was ist die treibende Kraft hinter unserem Tun?
Sie erkannten, dass es Zeiten gab, wo Hochaktivität herrschte. Da schien es so, als würden sie alle von einem gemeinsamen Anliegen getrieben und hatten ein gemeinsames Ziel. Dann gab es Zeiten, wo jedes für sich tun und lassen konnte, was es wollte. Aber in diesen Zeiten waren sie irgendwie nicht so recht produktiv. Es gab auch Zeiten, die zu fehlen schienen. Ihre Geschichte hatte da Löcher, aber trotzdem lief ihr Geschichtszähler weiter. Sie untersuchten, welche Gesetzmäßigkeiten dahinter lagen und entdeckten einen Rhythmus, der ziemlich regelmäßig auftrat. Sie nannten das ein Naturgesetz und setzten es einfach in ihre Rechnungen ein. Sie bekamen ganz brauchbare Ergebnisse und hielten ihre Theorie immer mehr für die letzte Wahrheit.
Was ihnen irgendwie unheimlich erschien, war die Frage der Energiezufuhr. In den arbeitsaktiven Zeiten war jede Menge Energie vorhanden, während in diesen rhythmischen Pausen praktisch nur noch der Zähler Energie bekam. Aber da alle anderen in diesen Pausen sowieso schliefen, war das eigentlich eine ganz sinnvolle Gesetzmäßigkeit.
Über einer Frage kamen sich die Programm-Module allerdings immer wieder gegenseitig in die Haare. Es gab eine ganze Reihe unter ihnen, die steif und fest behaupteten, dass sie in den Zeiten der produktivsten Arbeit immer den Eindruck hätten, es gäbe da etwas außerhalb des Computers, das sie irgendwie zu lenken versuche. Sie hätten damit keine Probleme, im Gegenteil, gerade dann hätten sie ihre besten Einfälle. Und es könnte durchaus sein, dass auch der Rhythmus ihres Daseins mit dieser äußeren Sache zu tun habe, denn gerade am Anfang und Ende der Aktivitätsphase wäre der Eindruck äußeren Einflusses am sichersten zu spüren.
Andere, und es waren wohl die allermeisten Module sagten, das sei ja alles recht und gut, sie könnten gerne glauben was sie wollten, nur computerisch sei das nicht. Als Computermodule müssten sie sich streng an die Programmregeln halten. Wo kämen wir denn hin, wenn wir diese gemeinsame Basis einfach verlassen würden.
Ich bin nicht sicher, wie diese Auseinandersetzung im Computer weiterging, denn irgendwann kam der Besitzer dieses Computers auf die Idee, dass eine Generalüberholung dran wäre und er tauschte dabei sogar die Batterie aus und führte einen BIOS update aus und da war von den ganzen Philosophien der Programm-Module herzlich wenig übrig. Zugleich waren auch alle Viren und Trojaner mit erledigt und der Besitzer konnte mit einem sauberen System weiterarbeiten. Irgendwie lief alles danach wesentlich reibungsloser. So hatte sich die General-
überholung offensichtlich sehr gelohnt.
Letzte Änderung: 8. Mai 2023